Nikolaikirche erleben
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Am 02.11., 09.11. und 16.11.2015 trafen sich MitarbeiterInnen der Stiftung Stadtmuseum aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen mit blinden und sehbehinderten TeilnehmerInnen, um gemeinsam über selbstständig erfahrbare Angebote im denkmalsgeschützten Raum der Nikolaikirche nachzudenken.
Dieser Workshop an drei aufeinander folgenden Montagen zeichnete sich durch mehrere Besonderheiten aus: Mit der Nikolaikirche hatte sich die Stiftung Stadtmuseum den einmaligen Fall einer musealen Dauerausstellung in einem historischen Kirchenraum ausgesucht. Für diesen denkmalgeschützten Ort sollten Möglichkeiten entwickelt und erprobt werden, selbständig nutzbare Erlebnismöglichkeiten für Blinde und Sehbehinderte zu finden. Als in positivem Sinne besonders erwies sich zum zweiten die Zusammensetzung der Teilnehmergruppe auf der Museumsseite, neben Bildung und Vermittlung waren auch Gestaltung, Kuration und Öffentlichkeitsarbeit vertreten, somit also ein repräsentatives Spektrum aller Museumsfachbereiche. Dem standen blinde und sehbehinderte Teilnehmer in gleicher Personenzahl gegenüber, so dass die Moderatoren Silke Feldhoff und Dirk Sorge eine weitere diesmal methodische Besonderheit herstellen konnten: Die Teilnehmer wurden sofort aufgefordert, Tandems zu bilden, die nicht nur zusammen arbeiteten, sondern sich über drei Tage auch begleiteten und dabei zu unterschiedlichen Themen austauschen konnten.
Nach einer Einführung in den thematischen Ablauf wurde die Nikolaikirche zu zweit mit dem Auftrag begangen, sie durch die Augen und Ohren des jeweils anderen zu erleben oder auch sich beschreiben und erfahrbar machen zu lassen. Anschließend gestaltete der Kurator eine kurze Führung zu den wesentlichen Elementen des Raums, der Baugeschichte und einzelner Exponate. Blinde und sehbehinderte TeilnehmerInnen konnten hier gleich einhaken, beispielsweise indem sie genauere Angaben zu Position, Größe und Beschaffenheit von Objekten einforderten, so dass ihre besonderen Bedürfnisse im Verhältnis zu sehenden Besuchern beispielhaft deutlich wurden. Danach dienten drei durch die Klangkünstlerin Anna Schimkat angeleitete praktische Übungen dazu, den Kirchenraum mit Hilfe des Hörsinns zu erleben.
Drei Gruppen nahmen unterschiedliche Positionen im Kirchenschiff ein. Jede Gruppe hatte von ihrer Position aus die Aufgabe, dauerhaft einen bestimmten Ton zu singen. Eindrucksvoll verwandelte sich das Kirchenschiff in einen großen Klangkörper, in dessen Zentrum ein Dreiklang hörbar wurde. Anschließend brachten die Teilnehmenden mit Hilfe von Mikrofonen und Löffeln das Außengitter einer Kapelle zum Klingen und hörten Liedgut des berühmtesten Theologen und Kirchenlieddichters der Nikolaikirche, Paul Gerhardt. Nach diesem anregenden Intro galt es, die an den nächsten zwei WS-Tagen zu bearbeitenden Themen aus den bisherigen Erfahrungen herauszufinden und Aufträge für zwei Arbeitsgruppen zu bestimmen. Die Teilnehmenden einigten sich auf die beiden Zielsetzungen „Raum erleben“ und „Exponate begreifen“.
Am zweiten WS-Tag begannen beide Gruppen in der Kirche ihre Arbeit, indem sie unter der Überschrift „Was wir gern barrierefrei zugänglich machen würden“ gemeinsam über die wünschbaren Inhalte, Formen, Vermittlungsangebote und notwendigen Materialien oder Gegenstände diskutierten.
Auf diese erste Gruppenarbeitsphase folgten zwei fachliche Inputs. Zunächst berichteten KollegInnen aus dem Deutschen Historischen Museum über Konzept und Erfahrungen bei der Einrichtung einer inklusiv ausgerichteten Sonderausstellung. In der Ausstellung „Alltag Einheit“ wurden die acht Themenbereiche durch jeweils ein Leitobjekt vermittelt, welches durch verschiedene Sinne, beispielsweise durch Anfassen und Riechen erfahrbar gemacht wurde. Für diese Ausstellung wurde außerdem eine 6-seitige Trommel entwickelt, die in 6 Sprachen (Braille, deutsche Schwarzschrift, englische Schwarzschrift, Leichte Sprache, Gebärdensprache) wichtige Ausstellungsinhalte vermittelte. Besonders wichtig bei der Vorbereitung war die praktische Beratung durch blinde und sehbehinderte Gäste, der man – um nur ein besonders anschauliches Beispiel zu nennen - die Erfindung einer Halterung für den Blindenstock an den Leitobjekten zu verdanken hatte. Das zweite Referat bestritt Ruben Kurschat von Stadt im Ohr. Das Unternehmen entwickelt unterhaltsame Audiospaziergänge durch eine Mischung von narrativen Elementen mit Klangbeispielen und Musik.
In fünf Kleingruppen mit jeweils einer blinden Person und zwei Sehenden sollten die Teilnehmenden dann in der Nikolaikirche einen Ort zum Klingen bringen und Ideen zur Realisierung entwickeln. Diese Übung erwies sich als besonders produktiv, die Teilnehmenden hatten sehr viele und lebendige Ideen, zum Teil ausgehend von der Geschichte der Exponate wie z.B. Grabstätten/Gruften, zum Teil ausgehend von der Gestaltung der Exponate (Ausdruck der verschiedenen Engel und Verkörperung von Tugenden am ehemaligen Hochaltar, Übersetzung in Töne bestimmter Musikinstrumente) oder ausgehend vom klanglichen Erleben des Ortes (wandernder Klang im Chorumgang).
Am dritten WS-Tag wurde die Arbeit in den Arbeitsgruppen intensiv fortgesetzt und schließlich in einer gemeinsamen Ergebnisrunde vorgestellt. Die Gruppe „Raum erleben“ entwickelte konkrete Vorschläge für den Aufbau einer Audiodeskription, für eine Klanginstallation und die Realisierung verschiedener Tastmodelle. Letztere sollten sowohl die Gesamtform der Kirche als auch die charakteristische Gestaltung des Kreuzrippengewölbes im Inneren in Form eines Detailmodells vorstellen. Extra Tastmodelle von einzelnen Exponaten, etwa dem Taufbecken, der Kanzel oder dem Maßwerk eines Fensters wären wünschenswert. Man verständigte sich auch über günstige Größen und Materialien. In der Gruppe „Exponate begreifen“ wurden zunächst Details der bereits vorhandenen Präsentationen unter die Lupe genommen. Beispielsweise wurde hier kritisch angemerkt, dass Lichtverhältnisse zu dunkel seien oder dass die Audioguide-Symbole auf unterschiedlichen Höhen angebracht sind. Alle weiteren Vorschläge zielten auf die Möglichkeiten, zu einzelnen Exponaten etwas zu ertasten, einen Tastgrundriss des Museums Nikolaikirche (u.a. zur räumlichen Orientierung), Möglichkeiten, an bereits existierenden Stationen mehr zu hören und auf die Verbesserung des Audioguides. Beispielsweise könnte das Zehdenicker Altartuch durch eine feine Stoffprobe zum Tasten und eine zweite Stoffprobe mit dem gestickten Motiv anschaulich gemacht werden; das Kruzifix durch Materialproben von Lindenholz, Dübel, Strippen und Pferdehaar sowie eine kleine Nachbildung der Körperhaltung des Gekreuzigten.
In der abschließenden Diskussion des Workshops wurden weiterreichende Verabredungen getroffen. Unter anderem wurde der Wunsch geäußert, eine Arbeitsgruppe aus dem Kreis der TeilnehmerInnen der Workshopreihe einzusetzen, die die vorgeschlagenen Maßnahmen in Form von Jahresscheiben als kurzfristig, mittelfristig und langfristig umzusetzende Ziele bewertet. Der Workshop endete in motivierter und angeregter Stimmung.
Text in Leichter Sprache
Nikolai-Kirche erleben
Wo hat dieser Workshop stattgefunden?
Der Workshop hat in der Nikolai-Kirche in Berlin stattgefunden
an 3 verschiedenen Tagen:
2. November, 9. November und 16. November 2015.
Wer hat bei diesem Workshop teilgenommen?
Am Workshop haben Blinde und Personen
mit Sehbehinderung teilgenommen.
Und Personen,
die bei der Stiftung Stadtmuseum arbeiten.
Diese Personen haben bei Ihrer Arbeit unterschiedliche Aufgaben:
- Führerin oder Führer durch die Ausstellung
- Planung von Ausstellungen
- Öffentlichkeits-Arbeit für die Museen,
die zusammen mit der Nikolai-Kirche
zur Stiftung Stadtmuseum gehören
Die Anleiterin und der Anleiter bei diesem Workshop
waren Silke Feldhoff und Dirk Sorge.
Silke Feldhoff ist Kunst-Wissenschaftlerin und
Expertin für barrierefreie Ausstellungen.
Dirk Sorge ist Künstler und hat selbst eine Sehbehinderung.
Er ist Mitglied im Arbeits-Kreis Kultur und Freizeit
beim Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten-Verein Berlin.
Wie ist dieser Workshop abgelaufen?
Zu Beginn haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
gemischte Teams aus 2 Personen gebildet.
Eine Person ist blind oder hat eine Sehbehinderung und
die andere Person ist sehend.
Diese gemischten Teams haben dann bei allen 3 Terminen
der Workshop zusammen gearbeitet und besprochen,
was sie dabei gelernt haben.
Am 1. Tag sind die gemischten Tandems in der Nikolai-Kirche
herum gegangen.
Dabei haben sie sich gegenseitig beschrieben,
was sie erleben.
Danach haben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Führung
durch die Nikolai-Kirche teilgenommen.
Albrecht Henkys hat sie dabei zum Kirchen-Gebäude informiert.
Und zu Ausstellungen,
die dort stattfinden.
Albrecht Henkys kümmert sich als Kurator um die Nikolai-Kirche.
Mit der Klang-Künstlerin, Anna Schimkat,
haben dann alle verschiedene Übungen gemacht.
Zum Beispiel haben sie 3 Gruppen gebildet,
die sich an verschiedenen Stellen in der Nikolai-Kirche aufgestellt haben.
Jede Gruppe hat einen bestimmten Ton gesungen.
Daraus ist dann ein Dreiklang entstanden.
Damit haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Raum
der Nikolai-Kirche mit ihren Ohren erfahren.
Zum Schluss des Tages haben sich 2 Arbeits-Gruppen gebildet,
die mit diesen Arbeits-Aufträgen arbeiten sollten:
- Raum erleben
- Exponate begreifen: Exponate sind Ausstellungs-Stücke
Am 2. Tag gab es 2 Vorträge von Fachleuten.
Im 1. Vortrag haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des Deutschen Historischen Museums davon berichtet,
wie sie die inklusive Ausstellung „Alltag Einheit“ geplant haben.
Im 2. Vortrag hat Ruben Kurschat über die Produktion
von Hör-Führungen berichtet.
Er arbeitet bei der Firma Stadt im Ohr,
die Audio-Spaziergänge mit Geräuschen und Musik produziert.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben dann überlegt,
wie man die Engels-Figuren und Grab-Stätten in der Nikolai-Kirche
mit passenden Tönen oder Klängen beschreiben kann.
Am 3. Tag haben die 2 Arbeits-Gruppen weiter gearbeitet.
Und dann ihre Ergebnisse vorgestellt:
Die Arbeits-Gruppe „Raum erleben“ hat vorgeschlagen,
dass es eine Beschreibung der Nikolai-Kirche zum Hören geben soll.
Auch soll es ein Klang-Kunst-Werk geben,
die Figuren und Bilder in der Nikolai-Kirche mit Tönen darstellt.
Die Arbeits-Gruppe „Exponate begreifen“ hatte diesen Vorschlag:
Blinde und Personen mit Sehbehinderung sollen
einzelne Ausstellung-Stücke mit Material-Proben erfahren.
Dafür sollen zum Tasten die einzelnen Materialien bereit liegen,
aus denen das Ausstellungs-Stück gemacht wurde.
Für die Jesus-Figur am Kreuz in der Nikolai-Kirche
sind das zum Beispiel:
- Linden-Holz
- Pferde-Haar
- dünne Seile
Außerdem sollte es eine kleine Kopie der Jesus-Figur geben,
damit man die Körper-Haltung der Jesus-Figur am Kreuz ertasten kann.
Am Schluss der Workshop hatten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer
viel Lust,
weiter an dem Thema zu arbeiten.
Was war das Ergebnis dieses Workshops?
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben Vorschläge für eine
Verbesserung der Besucher-Angebote in der Nikolai-Kirche gemacht.
Damit Blinde und Personen mit Sehbehinderung dort in Zukunft
bei einem Besuch noch mehr erleben können.
MP3
Audiodatei zum Text MP3 (7464 kB)
Audiodatei zum Original-Ton 1 MP3 (6729 kB)
Original-Ton: TeilnehmerInnen singen gemeinsam einen Dreiklang in der Nikolaikirche.
Audiodatei zum Original-Ton 2 MP3 (8350 kB)
Original-Ton: Ausschnitt aus der Schlussdiskussion. Eine Teilnehmerin beschreibt, was ihr gefallen hat und was weniger.
Transkription zur Audiodatei 2, Original-Ton PDF (67 kB)
Transkription zum Video PDF (196 kB)
Fotos
Video
Tastaturbedienung
p = play, s = stop, v = 5 Sekunden vor, z = 5 Sekunden zurück, 1 = lauter, 2 = leiser
Video: Ein Film von Sandra Merseburger über den Workshop in der Nikolaikirche.
Achtung! Das zweite Video hat neue Hotkeys, Buchstaben für die Tastaturbedienung. i = play, a = stop, o = 5 Sekunden vor, u = 5 Sekunden zurück, 3 = lauter, 4 = leiser
Hörfilm - Workshop in der Nikolaikirche
Sie können das Video hier auch herunterladen (157 MB)
Tastaturbedienung
i = play, a = stop, o = 5 Sekunden vor, u = 5 Sekunden zurück, 3 = lauter, 4 = leiser
Hörfilmfassung des Films von Sandra Merseburger. Der zusätzliche Sprecherton ist mit Schwarzfilm unterlegt.