Alicja Kwade, das Sichtbare, die Täuschung und die Bilder der Gebärdensprache - eine spielerische Erprobung mit Gehörlosen
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Am 06.10. und 03.11.2015 fanden sich Die Visionäre e.V. mit interessierten MuseumspädagogInnen und MitarbeiterInnen des Besucherservice zu einer gemeinsamen Erkundung der aktuellen Ausstellung im Haus am Waldsee zusammen.
Das eingespielte Duo aus den beiden hörenden und gebärdenden Workshopleiterinnen Ute-Sybille Schmitz und Bettina Kokoschka führte durch ein abwechslungsreiches Programm. Nicht nur die hörenden, nicht-hörenden, gebärdenden und nicht-gebärdenden TeilnehmerInnen begegneten sich zum ersten Mal, auch der Ort war für manche neu; genauso wie die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst.
An beiden Tagen bildeten eine Vorstellungsrunde und eine spielerische Lehreinheit zu im Museum brauchbaren Vokabular in Deutscher Gebärdensprache den Auftakt. Als besonderes Highlight wurde die Entstehung von Gebärdennamen mit den TeilnehmerInnen praktisch in Szene gesetzt: Ein Finger, der sich in das Grübchen auf der rechten Gesichtshälfte dreht und zwei Wellen zeichnende Hände neben dem Kopf wurden als neue Gebärdennamen gefunden. Andere visuelle Merkmale der TeilnehmerInnen wie Tattoo, Brille, Bart und Gesichtsform wurden ebenfalls geehrt - so jedenfalls fühlt es sich an, wenn aus einer besonderen, äußerlichen Eigenschaft ein individueller Gebärdenname entsteht.
Am ersten Workshoptag standen dann vor allem die Museumserfahrungen und Wünsche der gebärdenden Gäste im Mittelpunkt der Diskussion des ersten Teils. Alle BesucherInnen wollen im Museum informiert werden, vielleicht Objekte anfassen, einbezogen und selbst aktiv werden. Was also ist es was taube BesucherInnen sich im Museum wünschen? Dazu wurde herausgearbeitet, dass diese in Abgrenzung zu hörenden BesucherInnen einen viel höheren Kommunikationsbedarf haben. Höher noch als es ein dialogisches Vermittlungsformat bisher ermöglicht: Alles Mögliche und Unmögliche wird unter tauben Menschen detailliert besprochen und diskutiert. Dafür sollte also eine ebenfalls taube Vermittlerin in einer Führung Raum lassen und vielmehr moderieren als informieren.
Am zweiten Tag sorgten die ModeratorInnen für theoretischen Input durch verschiedene ReferentInnen. So lautete eine Vortragsthese, die andere, insbesondere visuelle Wahrnehmung von tauben Menschen beeinflusse auch ihre Kunst. Diese These wurde mittels verschiedener künstlerischer Beispiele untermauert: Bildende Kunstwerke von Dieter Fricke und Manfred Mertz wurden gezeigt; außerdem gebärdende PoetInnen wie Jürgen Endress oder Simone Lönne. Unmittelbar lehrreich vor allem für die hörenden TeilnehmerInnen waren auch Hörbeispiele, die das restliche Hörvermögen einem leichten, mittleren und profunden Hörverlust erfahrbar machten. Bei einem Hörverlust über 95 dB waren nur noch laute Geräusche und Töne wahrnehmbar.
An beiden Workshoptagen wurde im zweiten Teil dann ein jeweils individueller Gang durch die Ausstellung gestaltet. Hierbei stellten jeweils einzelne taube Gäste einzelne Kunstwerke und ihre Sicht auf diese vor und leiteten damit weitere Beobachtungen und einen Dialog in der Gruppe ein. Am zweiten Tag regte der Abakus der polnischen KünstlerIn Alicja Kwade zu einer zum Thema des Workshops passenden Interpretation an: Die Steinkugeln, welche verstreut auf dem Boden vor der Rechenhilfe liegen, stünden für die Dominanzkultur der hörenden Menschen und die einzige Steinkugel, die sich an dem ungefähr 2 Meter großen Abakus befindet folgerichtig für den einzelnen tauben Menschen. Ein weiteres Kunstwerk, bestehend aus mehreren sich an den Übergang zwischen Wand und Fußboden anpassenden Spiegeln, lud alle TeilnehmerInnen dazu ein, ihre Perspektiven zu überprüfen und zu erweitern.
In der Schlussrunde wurde die An- oder Abwesenheit professioneller KunstvermittlerInnen beim Museumsbesuch in Bezug auf taube BesucherInnen bewertet. Durch die Anwesenheit von KunstvermittlerInnen entstünde leicht eine Hierarchie. Insbesondere schade sei es, wenn so der für taube BesucherInnen so wesentliche Dialog verhindert würde. Andererseits solle auch das Fachwissen über die Kunstwerke nicht fehlen. Hier stellte sich also die Frage nach einer Vermittlung auf Augenhöhe, die Zugang durch Fach- und Laienwissen gleichermaßen zulässt und dabei den besonderen Gesprächsbedürfnissen von tauben Besucherinnen Rechnung trägt.
Text in Leichter Sprache
Gehörlose und Personen mit Hörbehinderung
im Haus am Waldsee
Wo hat dieser Workshop stattgefunden?
DerWorkshop hat im Haus am Waldsee
in Berlin stattgefunden an 2 verschiedenen Tagen:
am 6. Oktober und 3. November 2015.
Das Haus am Waldsee ist ein Museum für moderne Kunst.
Wer hat bei diesem Workshop teilgenommen?
Am Workshop haben Personen teilgenommen,
die in verschiedenen Museen arbeiten.
Diese Personen haben bei Ihrer Arbeit unterschiedliche Aufgaben:
- Bildungs-Angebote des Museums zum Beispiel für Schulklassen
- Besucher-Service zum Beispiel am Empfangs-Tresen
Außerdem haben hörende und gehörlose Personen teilgenommen,
die sich für Kunst interessieren.
Die Anleiterinnen, Bettina Kokoschka und Ute Sybille Schmitz,
kommen beide vom Verein Die Visionäre e.V.
Informationen zu den Anleiterinnen und zum Verein finden Sie
auf Seite yx in diesem Buch.
Wie ist dieser Workshop abgelaufen?
Für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer war das neu:
- Das Museum Haus am Waldsee
- Die Begegnung von hörenden und gehörlosen Personen
- Die Ausstellung mit moderner Kunst von heute
An beiden Tagen haben die Anleiterinnen den Teilnehmerinnen und
Teilnehmern Grundlagen der Gebärden-Sprache gezeigt.
Das haben dann alle mit viel Spaß geübt.
Am 1. Tag ist es beim Workshop um diese Fragen gegangen:
- Was erleben gehörlose Personen bei einem Museums-Besuch?
- Welche Angebote wünschen sie sich dort?
Dabei ist klar geworden:
Gehörlose Personen tauschen sich untereinander viel und
ganz genau aus.
Auch über Dinge, die andere nicht so wichtig finden.
Das gibt ihnen Sicherheit.
Für eine Führung durch die Kunst-Ausstellung für gehörlose Personen
muss man das beachten.
Und dafür extra Zeit einplanen.
Am 2. Tag gab es beim Workshop Vorträge mit diesen Themen:
- Machen gehörlose Künstlerinnen und Künstler andere Kunst?
- Informationen zum Thema Schwerhörigkeit.
Dabei gab es Hör-Beispielen, mit denen sich die hörenden Personen
verschieden starke Hör-Behinderungen sehr gut vorstellen konnten.
An beiden Tagen gab es gemeinsame Rundgänge durch die Ausstellung
mit Kunst-Werken der Künstlerin Alicja Kwade.
Dabei haben gehörlose Teilnehmerinnen und Teilnehmer erklärt,
wie sie diese Kunst-Werke verstehen.
Das hat alle dazu angeregt,
gemeinsam über Kunst zu sprechen.
Was war das Ergebnis dieses Workshops?
Gehörlose und hörende Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ihre
unterschiedlichen Sichtweisen vergleichen können.
Und ist wurde gezeigt, wie gehörlose Personen untereinander
Informationen austauschen.
MP3
Audiodatei zum Text MP3 (6425 kB)
Transkription zum Video Original-Ton PDF (171 kB)
Fotos
Fotografien von Rimus
Video
Workshop im Haus am Waldsee
Sie können das Video hier auch herunterladen (14 MB)
Tastaturbedienung
p = play, s = stop, v = 5 Sekunden vor, z = 5 Sekunden zurück, 1 = lauter, 2 = leiser
Video: Die WorkshopteilnehmerInnen unterhalten sich über ihre Eindrücke und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu einem der Werke von Alicja Kwade. Die gebärdenden TeilnehmerInnen werden übersetzt. Zu sehen sind ungefähr sieben mittelgroße nacheinander aber in abnehmenden Höhen an einer Wand angeordnete Spiegelflächen. Die Spiegel sind so verbogen, dass sie sich in den jeweiligen Winkel zwischen Wand und Boden einpassen, und liegen zunehmend mehr auf dem Boden.
Achtung! Das zweite Video hat neue Hotkeys, Buchstaben für die Tastaturbedienung. i = play, a = stop, o = 5 Sekunden vor, u = 5 Sekunden zurück, 3 = lauter, 4 = leiser
Zur Ausstellung Alicja Kwade - Im Interview mit Imke Baumann
Sie können das Video hier auch herunterladen (336 MB)
Tastaturbedienung
i = play, a = stop, o = 5 Sekunden vor, u = 5 Sekunden zurück, 3 = lauter, 4 = leiser
Video: Untertitelter Film in Deutscher Gebärdensprache. Die Projektleiterin befragt verschiedene gehörlose TeilnehmerInnen des Workshops im Haus am Waldsee über ihre Erfahrungen mit der Kunstausstellung zu Alicja Kwade, darüber was sie im Workshop gemacht haben und über die Zugänglichkeit von Museen für Gehörlose im allgemeinen.